MantelVO im Brennpunkt: Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Klett im Gespräch mit recyclingnews
Mehr Ressourcenschutz für den größten deutschen Materialstrom? Mit einer neuen Mantelverordnung (MantelVO) will das BMU die Verwertung von Ersatzbaustoffen regeln. Doch der aktuelle Entwurf gibt Anlass zur Diskussion: Während die Verbände der Recycling- und Baustoffindustrie die bundeseinheitliche Klarheit begrüßen, kritisieren sie zugleich, dass künftig mehr Baustoffe deponiert werden müssten. Professor Dr. Wolfgang Klett, Rechtsexperte der Abfallwirtschaft und Gründer der Kölner Anwaltskanzlei Köhler & Klett spricht mit recyclingnews über gute Absichten und zu hohe gesetzliche Anforderungen.
recyclingnews: Herr Professor Klett, im Jahr 2011 waren dem Statistischen Bundesamt zufolge knapp 52 Prozent aller Abfälle in Deutschland Bau- und Abbruchabfälle. Grund genug, Einsatz und Akzeptanz von Recyclingbaustoffen zu fördern. Was sieht die Gesetzeslage für die Vergabe von Aufträgen für Ersatzbaustoffe derzeit und in Zukunft vor?
Prof. Wolfgang Klett: Wir begleiten die Anstrengungen der mineralischen Recyclingwirtschaft seit über zwei Jahrzehnten im Hinblick auf die Herstellung qualifizierter güteüberwachter Recyclingbaustoffe. Die gegenwärtig noch geltende Rechtslage geht auf die maßgeblichen Erlasse der verschiedenen Bundesländer für die Verwendung von Recyclingbaustoffen zurück. Damit sind die Bedingungen für die Recyclingwirtschaft im Bundesgebiet uneinheitlich, weil sie in den verschiedenen Bundesländern nach den regional unterschiedlichen Natursteinvorkommen unterschiedlich ausgestaltet wurden. Insoweit stellt die Mantelverordnung Grundwasser/Ersatzbaustoffe/Bodenschutz einen begrüßenswerten Ansatz dar, innerhalb der Bundesrepublik Deutschland für die Verwendung von Recyclingbaustoffen einheitliche Grundlagen zu schaffen.
recyclingnews: Welche Ziele verfolgt die Bundesregierung über eine einheitliche Regelung der Ersatzbaustoffe hinaus mit ihrem Entwurf der neuen “Mantelverordnung”?
Prof. Wolfgang Klett: Die gesetzgeberische Initiative geht auf die Absicht zurück, für die Beurteilung schädlicher Veränderungen der Medien Wasser und Boden ein einheitliches Bewertungssystem zu entwickeln. Es handelt sich dabei um eine sehr anspruchsvolle Aufgabenstellung, in naturwissenschaftlicher wie politischer Hinsicht: So wird etwa auf Basis der Eigenschaften einer Bodenzone auf die zulässigen Inhaltsstoffe von Ersatzbaustoffen rückgeschlossen, wenn diese bei technischen Bauwerken Verwendung finden oder zur Verfüllung von Abgrabungen zum Einsatz kommen. Zugleich muss eine Abwägung im Werte-Trias zwischen den Zielen des Gewässerschutzes, Bodenschutzes und der Ressourcenschonung durch Recycling erfolgen.
Diese komplexe Aufgabenstellung hat wegen der Zuständigkeit unterschiedlicher Ressorts im BMU auch zu kontroversen Einschätzungen geführt, die immer wieder zu erneuten Fachdiskussionen Anlass geben. Beispielsweise werden mit Blick auf den Gewässer- und Bodenschutz nicht nur humantoxikologische, sondern gesamtökologische Maßstäbe angesetzt. Dies führt zu der befremdlichen Vorstellung, dass bereits das Ausschütten eines Tafelwassers, das wir als Lebensmittel verbrauchen, zu einer schädlichen Gewässerveränderung führen kann.
recyclingnews: Das Bundesumweltministerium will sicherstellen, dass mineralische Ersatzbaustoffe künftig dem Kreislaufwirtschaftsgesetz entsprechend verwertet werden. Wird der Entwurf der MantelVO dieser Vorgabe gerecht?
Prof. Wolfgang Klett: Bleibt der Entwurf mit sämtlichen Anforderungen im derzeitigen Stand bestehen, kann das gravierende Folgen insbesondere für den Massenstrom der mineralischen Abfälle haben, der sich auf etwa 240 Millionen Tonnen sowie etwa 70 Millionen Tonnen mineralischer Recyclingmaterialien pro Jahr beläuft. Ein wesentlicher Anteil an Baustoffen könnte künftig nicht mehr zur Verwendung als Recyclingbaustoff gelangen – der Entwurf der MantelVO lässt nur noch eine Verwertung auf Deponien zu. Eine solche Entwicklung würde den Zielen zuwider laufen, wie sie im Kreislaufwirtschaftsgesetz auf der Grundlage der Abfallrahmenrichtlinie vorgegeben wurden.
recyclingnews: Wie kommt es dazu, dass öffentliche Auftraggeber heute immer noch vielfach ausschließlich Primärbaustoffe ausschreiben?
Prof. Wolfgang Klett: Auch wenn entsprechende gesetzliche Grundlagen geschaffen sein sollten, ist die Bereitschaft öffentlicher Stellen gering, bei der Beschaffung von Baustoffen – insbesondere im Rahmen der Ausschreibung öffentlicher Aufträge – auf Ersatzbaustoffe zurückzugreifen oder diese zumindest alternativ zuzulassen. Mit Blick auf die noch in Entwicklung befindliche Rechtslage besteht einige Unsicherheit, welchen Anforderungen zukünftig Recyclingbaustoffe zu genügen haben. Auch unabhängig von dieser Rechtsentwicklung ist jedoch festzustellen, dass die öffentlichen Stellen dem Recycling zu wenig Unterstützung gewähren, obwohl sie beispielsweise auf der Grundlage von § 45 KrWG verpflichtet sind, auch solche Recyclingbaustoffe einzusetzen. Die Mantelverordnung als untergesetzliches Regelwerk im Verhältnis zum Kreislaufwirtschaftsgesetz sieht jedoch keine weitergehenden Verpflichtungen der öffentlichen Hand vor.
recyclingnews: In Zukunft, so die Einschätzung des BMU, könne eine Verwertungsquote von Ersatzbaustoffen von 80 Prozent erreicht werden. Kritiker aus der Deutschen Bauwirtschaft erwarten jedoch, dass nach Verabschiedung der Verordnung jährlich wesentlich weniger mineralischer Abfälle verwertet werden könnten. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz?
Prof. Wolfgang Klett: Die abfallwirtschaftlichen Zielvorgaben lassen sich mit den auf Gewässer- und Bodenschutz ausgerichteten Anforderungen teils schwerlich in Deckung bringen – davon zeugen auch die unterschiedlichen Einschätzungen, die in den verschiedenen Ressorts des Bundesumweltministeriums vorgenommen werden. Einerseits müssen die Anstrengungen zur Verwertung von Abfällen auf Grundlage der Abfallrahmenrichtlinie und deren Umsetzung in nationales Abfallrecht noch intensiviert werden. Andererseits führen die aus dem Gewässerschutz und dem Bodenschutz abgeleiteten Anforderungen zu einer Einschränkung der Verwendbarkeit von Recyclingbaustoffen. Ob die Zahlen insoweit zutreffend sind, vermag ich jedoch nicht abschließend zu beurteilen. Wir sind entsprechend der Stellungnahmen verschiedener Industrieverbände zur MantelVO jedoch dahingehend informiert, dass ein wesentlicher Anteil von etwa 70 Millionen Tonnen pro Jahr an Recyclingbaustoffen nicht mehr außerhalb von Deponien verwertet werden könnte.
recyclingnews: Die Bundesgütegemeinschaft Recycling-Baustoffe (BGRB) betrachtet den Gesetzentwurf skeptisch: Ein Großteil der Sekundärbaustoffe würde künftig durch zu niedrige Grenzwerte nicht mehr der höchsten Güteklasse zugerechnet und ihre Vermarktung sei somit faktisch nicht mehr möglich. An welchen Stellen muss die Mantelverordnung konkret nachgebessert werden?
Prof. Wolfgang Klett: Wir kennen die von der BGRB gegenüber dem Entwurf der Mantelverordnung geltend gemachten Bedenken und teilen diese. Sollten die bislang im Entwurf enthaltenen Anforderungen für Ersatzbaustoffe Geltung erlangen, sind nicht nur aus Sicht dieser Gütegemeinschaft, sondern auch nach Einschätzung einer Reihe weiterer Industrieverbände die Erwartungen sehr gedämpft, die Anstrengungen des Recyclings in Zukunft weiter fördern zu können oder überhaupt noch aufrecht erhalten zu können.
Trotz einer differenzierten Matrix zwischen Einbauweisen und geologischen Eigenschaften von Einsatzbereichen könnte eine Vielzahl von Ersatzbaustoffen nicht mehr verwertet werden. Aus unserer Sicht wäre deswegen hinsichtlich der zulässigen Materialwerte nachzubessern – jedenfalls für eine Übergangszeit, bis durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben auch in den übrigen Mitgliedsstaaten ein vergleichbares Niveau bei den Anforderungen an Recyclingbaustoffe erreicht ist.
recyclingnews: Der BDI geht davon aus, dass eine Verschärfung der Grundwasserverordnung für den Einsatz von Ersatzbaustoffen einen Wettbewerbsnachteil im EU-Raum mit sich bringt. Welche effizienteren Regelungen bestehen nach Ihrer Erkenntnis für die Nutzung von Recycling-Baustoffen innerhalb der EU?
Prof. Wolfgang Klett: Diese Einschätzung des BDI für den Einsatz von Ersatzbaustoffen können wir teilen. Es gibt nur wenige EU-Mitgliedstaaten, die mit der Bundesrepublik Deutschland vergleichbare Anforderungen an Recyclingbaustoffe entwickelt haben. Dazu zählen etwa Österreich und die Niederlande, aber auch die Schweiz außerhalb der EU. Im Übrigen ist das Bodenschutzrecht in Europa noch in der Entwicklung befindlich. Dies gilt auch für die Vereinheitlichung der inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs “schädliche Gewässerveränderung”, wie er mit der Grundwasserverordnung für die Bundesrepublik Deutschland konkretisiert worden ist. Der Entwicklungsstand wasser- und bodenschutzrechtlicher Vorschriften in der Bundesrepublik Deutschland geht insoweit über das Niveau von bisher geltenden unionsrechtlichen Vorgaben hinaus. Dies ist auch der Grund, warum ich für eine entsprechende Übergangsregelung plädiere.
recyclingnews: BMU-Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser hat nach Besichtigung eines Mitgliedsbetriebs der BGRB angekündigt, die Ersatzbaustoffverordnung noch einmal zu prüfen, und spricht sich für eine praxisgerechte Regelung aus. Wie viel Einfluss haben Verbände und Interessensgemeinschaften Ihrer Erfahrung nach auf den letztendlich verabschiedeten Gesetzestext?
Prof. Wolfgang Klett: Es wäre nur zu begrüßen, wenn Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser die gewonnenen Eindrücke und das Erfordernis praxisgerechter Regelungen zum Anlass nehmen würde, die bislang diskutierten Anforderungen der MantelVO nochmals auf den Prüfstand zu stellen. Nach unserer Einschätzung haben Verbände und Interessengemeinschaften nicht nur unwesentlichen Einfluss auf die verabschiedeten gesetzlichen Anforderungen. Letztlich darf die gebündelte Erfahrung aus dem Bereich der vertretenen Mitgliedsunternehmen bei einer Gesetzgebung mit Augenmaß nicht gänzlich aus dem Blick geraten. Wir alle müssen gespannt sein, mit welchen inhaltlichen Anforderungen letztlich die Mantelverordnung von den Parlamentariern verabschiedet wird.
recyclingnews: Herr Professor Klett, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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